(Neuer) Alter Schynweg (…und mehr)
Tourdaten
- Weglänge: 103 km
- Höhendifferenz: ↑↓ 3050 Hm
Routenbeschreibung
Fast vor einem Jahr war ich zum ersten Mal auf dem Alten Schynweg zwischen Muldain und Scharans unterwegs. Die Freude über diese schöne und spannende Bikebfahrt von Obervaz nach Thusis fernab der verkehrsreichen Durchgangsstrasse weiter unten durch die Schynschlucht währte allerdings nur kurz. Es gelang noch eine Abfahrt, danach wurde der Weg im Herbst wegen Steinschlaggefahr gesperrt.
Als der Schnee in diesem März ausreichend weggetaut war, unternahm ich eine Erkundungstour zum Schynweg mit dem Mountainbike. Die Sperrung ab Muldain bestand weiterhin, ich konnte sie jedoch umgehen und bis kurz vor den Tunnel in der Mitte der Strecke abfahren. Dort war dann unvermittelt Schluss: grosse Felsbrocken versperrten den Weg und dahinter bot sich ein Bild der Verwüstung. Der ganze Weg war auf einer Länge von rund 50 Metern von einem Felssturz vollständig in die Tiefe gerissen worden.
Monate später erschien im Bezirksblatt die gute Nachricht: die betroffenen Gemeinden hatten angesichts der Beliebtheit des Alten Schynwegs bei Bikern und Wanderern beschlossen, den zerstörten Wegabschnitt auf den Beginn der Sommersaison hin wieder aufbauen zu lassen. Vor kurzem wurde die Sperre dann aufgehoben und der Durchgang war wieder offen. Grund genug, um mich erneut auf dem Sattel zum Schynweg zu begeben.
Im Gegensatz zu den bisherigen Ausflügen hinunter nach Thusis wollte ich jetzt aber Neues versuchen und erstmals versuchen, ob ich den Schynweg auch in der Gegenrichtung, im Aufstieg von Scharans nach Muldain schaffen würde. Und dies alles gleich noch mit dem Gravelbike statt wie bisher "nur" mit dem Mountainbike.
Je mehr meine Gedanken um das Thema kreisten, desto grösser wurde das geplante Vorhaben. Ich könnte den Schynweg nicht nur für sich allein befahren, sondern als abschliessenden Teil einer ganzen Umrundung der Stätzerhornkette ohne Zuhilfenahme von Bus oder Zug. Also mit dem Bike zuerst über die Lenzerheide hinunter nach Chur fahren, von Chur dann weiter über den Polenweg nach Rothenbrunnen am Eingang des Domleschg, den Dörfern am Hinterrhein entlang aufwärts bis nach Scharan und zum krönenden Abschluss dann der Aufstieg von Scharans über den Schynweg zurück in die Lenzerheide.
Jeder Teilabschnitt dieser Rundtour nimmt für sich bereits eine gewisse Zeit in Anspruch – dies wusste ich von den entsprechenden bisherigen Touren auf den Strecken. Es wäre deshalb vorteilhaft gewesen, früh zu starten, aber wieder einmal kam ich wegen allerlei Ablenkungen erst nach Mittag aus dem Haus. Für eine Fahrt über Chur hinaus hatte ich also zunächst wenig Zuversicht.
Über die Lenzerheide nach Chur
Mit dem Bike in die Lenzerheide zu fahren ist für mich immer ein Genuss. Auf eine rasante Abfahrt von Alvaneu nach Crappa Naira folgt ein schöner Abschnitt auf der sehr wenig befahrenen Strasse nach Brienz. Am dortigen Bergsturz vorbei geht es weiter nach Vazerol. Das Bike muss kurz geschoben werden, dann erreicht man über einen Waldweg die gesperrte frühere Strasse von Brienz nach Lantsch/Lenz. Früher empfand ich die Fahrt auf der Hauptstrasse durch Lenz etwas stressig; seitdem ich aber einen schönen Umweg abseits der Strasse durch das Quartier von Barbatschauns direkt in den Wald gefunden habe, fährt sich auch dieser Teil entspannt.
Die Fahrt von Lenz durch den Bergwald am Campingplatz von St. Cassian vorbei war sehr idyllisch. Man kommt am oberen östlichen Ortsrand in der Lenzerheide an und kann normalerweise auch hier die Hauptstrasse völlig vermeiden. Leider klappte es damit heute nicht so ganz, denn im Wald Richtung Parpan versperrte eine Baustelle den Weiterweg vollständig. Somit war ich gezwungen, auf der Umleitung praktisch wieder den ganzen Weg zurück und hinunter zur Talstation der Rothornbahn zu fahren und landete dann eben doch wieder auf der Hauptstrasse über Valbella und der Parpaner Höhe. In Parpan konnte ich wieder abzweigen und auf den weiten Felder unterhalb der Rothornkette weiterfahren.
Nach einer steilen Abfahrt auf einem Schotterweg nach Churwalden und einem kurzen Stück auf der Hauptstrasse bog ich schon wieder rechts ab zum Waldweg nach Chur. Die nun folgende zügige Abfahrt zieht sich über 10 km hinunter bis zum Eingang der Churer Altstadt, wo man sich – soeben aus der stillen Bergwelt gekommen – unvermittelt im lärmenden Stadtverkehr zwischen den Menschen- und Autoströmen wie in einem anderen Universum fühlt.
Von Chur nach Feldis
Die Strecke aus Chur heraus nach Reichenau empfand ich als wenig attraktiv. Das Netz von Radwegen in Chur selbst führt zwar durch verkehrsarme Seitenstrassen oder ist vom Autoverkehr getrennt, bietet aber ausserhalb der Altstadt wenig Sehenswertes. Jenseits vom Stadtrand gelangt man in eine relativ monotone und flache Landschaft, die von grossen Äckern, Industrie- und Gewerbevierteln, neuen Einfamilienhausquartieren, der Bahnlinie und vor allem der ständig präsenten Autobahn durchs Tal bestimmt wird.
Beim Golfplatz von Reichenau kann man diese Gegend dann endlich ins Domleschg mit dem darin fliessenden Hinterrhein verlassen. Durch die Felsschlucht am Taleingang führt der Polenweg als schöne Radtour nach Rothenbrunnen. Zuvor zweigt allerdings eine Alpstrasse hinauf nach Feldis ab. Hier bin ich erstmals noch im Winter mit dem Gravelbike hochgekurbelt.
An dieser Abzweigung kam ich auch heute vorbei. Einem plötzlichen Impuls folgend, verwarf ich meinen ursprünglichen Plan, über den Polenweg in Richtung Rothenbrunnen weiterzufahren. Stattdessen beschloss ich, die 800 Höhenmeter bergauf nach Feldis nochmals zu versuchen. Diese hatte ich vom letzten Mal als sehr anstrengend in Erinnerung, wobei ich mich damals beim Schieben über Schneefelder noch etwas ausruhen konnte. Diesen Vorteil hatte ich heute aber nicht mehr.
Der untere Teil der Strecke ist zwar asphaltiert und nicht zu steil, im oberen Teil geht die Strasse aber in einen Schotterweg über und nimmt an Steigung zu. Zäh und mühsam ging es also wieder nach oben. Kurz vor den ersten Häusern bei Feldis fährt man ein kurzes Stück durch einen Felstunnel. Ich war heilfroh, als der Tunnel endlich in Sicht kam und ich wusste, dass ich den Aufstieg praktisch geschafft hatte.
Von Feldis nach Scharans
Feldis ist einerseits aus dem Tal von Tomils her mit einer Strasse erschlossen, andererseits führt aber auch eine Luftseilbahn von Rothenbrunnen herauf. Trotzdem wirkt das kleine Dorf sehr ruhig und abgeschieden. Es fasziniert mich immer wieder, wie nahe hier in der Schweiz städtisches Treiben und ländliche Ruhe unmittelbar beieinanderliegen.
Von Feldis fuhr ich schnell über die kurvenreiche Verbindungsstrasse nach Tomils hinunter. Aufpassen musste ich bei diesem Tempo allerdings nicht nur auf den Gegenverkehr, sondern auch noch auf zwei unbeleuchtete Tunnels und eine Baustelle ohne Strassenbelag. Ich fuhr nicht ganz bis ins Tal, sondern folgte auf halber Höhe der Abzweigung nach Trans. Auf einem neuen Anstieg, mit dem ich nicht ganz gerechnet hatte, und durch einen längeren Strassentunnel erreichte ich noch vor Trans die Einmündung von einem steilen Feldweg, der in engen Kurven durch den Wald hinunterführte. Anfänglich bestand der Weg noch aus einem Belag aus zwei Reihen von Zementplatten und ging erst später in eine holprige Waldstrasse über. Die Abfahrt auf den Platten war wegen den Schlägen alle paar Meter dabei fast anstrengender als auf dem Schotter.
Bei Paspels kam ich dann unweit vom Canovasee wieder im Tal heraus. Am Badesee und auf der kleinen angrenzenden Liegewiese herrschte auch am späten Nachmittag noch reges sommerliches Treiben. Über Almens fuhr ich weiter nach Scharans, dem Ausgangspunkt vom Alten Schynweg. Hier nutzte ich die Gelegenheit, meinen Trinkbeutel für den grossen Schlussaufstieg nachzufüllen.
Aufstieg auf dem Alten Schynweg
Mit etwas mulmigem Gefühl machte ich mich auf in Richtung Schynweg. Ich spürte die hinter mir liegenden Aufstiege schon deutlich in den Beinen. Zudem war der Abend langsam gekommen, eine Wolkenfront war aufgezogen und der Wind war inzwischen wesentlich kühler. Der erste Teil verlief über eine längere Strecke hinweg in mässiger Steigung, was nie ein gutes Zeichen ist, weil die verbleibenden Höhenmeter irgendwann einmal zwangsläufig umso heftiger folgen müssen. So kam es denn auch diesmal: bei einer Folge von üblen steilen Kehren mit losem Untergrund kurz vor dem Felstunnel auf halber Strecke kam meine Fahrt abrupt zum Stillstand. Keine Chance, bei der Steigung über dieses lose Geröll auf dem Weg noch vorwärtszukommen. Ich versuchte zu fahren, wo es nur ging, aber bis zum Tunnel musste ich das Bike auf drei Abschnitten insgesamt jeweils um die 30 Meter schieben.
Beim Tunnel ging es dann wieder im Sattel weiter. Die Tunnelbeleuchtung funktionierte zum Glück immer noch, und hinter dem Tunnel erreichte ich dann schon den Teil des Weges, der im Winter zerstört worden war. Ich war angesichts der Erinnerung an die damalige Verwüstung beeindruckt, wie gründlich man den Wegabschnitt durch die fast senkrechte Felswand inzwischen wieder reparieren konnte. Vertrauenserweckend sahen die mächtigen, überhängenden Felsabbrüche direkt über meinem Kopf aber auch weiterhin nicht aus. Ein Hinweisschild mahnte dementsprechend auch zur zügigen Fortbewegung, und so machte ich mich nach einem kurzen Fotostopp schnell weiter auf den Weg. Die restliche Strecke nach Muldain bin ich bei meinem letzten vergeblichen Ausflug hierher im Frühling ja schon einmal mit dem Mountainbike zurück nach oben gefahren und wusste somit, dass der Aufstieg machbar war. So war es denn auch, und ich erreichte die rettende kleine Kapelle am oberen Anfang des Schynwegs. Mit Ausnahme der Schiebepassagen unten vor dem Tunnel konnte ich den Schynweg somit also erstmals mit dem Gravelbike im Aufstieg überwinden.
Weiterfahrt nach Hause
In Muldain angekommen, war es inzwischen schon ziemlich spät und kalt. Die vernünftige Entscheidung wäre jetzt gewesen, auf direkten Weg dem Hang entlang nach Vazerol und über Brienz weiter zurück nach Hause zu fahren. Dummerweise zeigte der Bikecomputer aber an, dass ich mich inzwischen auf die 100 km- und 3000 Höhenmeter-Marken hinbewegte – beides Rekordmarken für meine Verhältnisse. Angesichts der unerklärlichen Bedeutung dieser willkürlichen runden Zahlen trat die Priorität der unverzüglichen Heimfahrt in den Hintergrund und ich stieg stattdessen von Muldain über Lain weiter auf der Strasse zurück in die Lenzerheide auf. Von dort ging es dann über die Bikepfade beim Golfplatz in schneller Fahrt wieder hinunter nach St. Cassian, Lenz, Brienz und Alvaneu. Die grösste Herausforderung auf diesem letzten Teil war, nach einem halben Tag im Sattel mit entsprechender Erschöpfung immer noch die volle Konzentration zu wahren, um nicht auf den letzten Kilometern noch eine Baumwurzel oder einen Belagschaden mit üblen Folgen zu übersehen. Die zweitgrösste Herausforderung war der letzte Schlussanstieg von Crappa Naira über Alvaneu nach Hause, der nur noch im Schneckentempo, genau deshalb aber immerhin gefahrlos zu bewältigen war.