Verfolgungsjagd am Irontrail Savognin
Ausgangspunkt
Schmitten, bzw. Savognin.
Tourdaten
- Weglänge: 79 km
- Höhendifferenz: ↑↓ 2730 Hm
Routenbeschreibung
Heute war es also soweit: der grosse Laufevent des Jahres war da – der Swiss Irontrail in Savognin, für den sich Susanne beim 20km/1220Hm-Berglauf als Teilnehmerin angemeldet hatte.
Mein Plan war hingegen, mit dem Bike nach Savognin zu fahren und Susanne während ihres Laufs an verschiedenen vorberechneten Wegpunkten auf der Rennstrecke zu erwarten und zu fotografieren.
Die rechtzeitige Anfahrt nach Savognin hatte ich schon vor zwei Tagen eingeübt. Gestern hatte ich zumindest die 19km-Gehdistanz in einem als gemütliche Wanderung vorgesehenem Ausflug zum Septimerpass absolviert, während Susanne (und am Schluss auch ich) uns bei dieser Gelegenheit und 24 Stunden vor dem Rennen beide eher ungeplant noch ziemlich verausgabten. Mit ziemlich schweren Beiden und dem Ausblick auf einen langen Tag im Sattel stieg ich heute morgen also aus dem Bett.
Von Schmitten nach Savognin
Wie bei meiner Generalprobe fuhr ich erneut mit dem Bike über Alvaneu, Surava, Tiefencastel, Mons und Salouf nach Savognin und erreichte das inzwischen errichtete Start- und Zielgelände mitsamt dem kunterbunten Treiben dort rechtzeitig wie vorherberechnet. Susanne hatte inzwischen ihre Startnummer abgeholt und war sichtlich nervös. Wir verbrachten noch einige Minuten zusammen, bevor ich mich mit dem Bike auf den Weg zum ersten geplanten Wegpunkt und Fotostopp machte.
Fotostopp Nr. 1 bei Stavel Vigl
Aus dem Zentrum von Savognin heraus fuhr ich bergwärts durch die Wohnviertel im Norden des Dorfs bis zu den obersten Häusern am Waldrand. Die Läufer würden diesen ersten Abschnitt vom Start weg auf direktem Weg aufsteigen müssen. Ich konnte hingegen in weiten Bögen und somit in geringerer Steigung auf den Seitenstrassen hinauffahren. Oberhalb von Larisch hörte aber auch für mich der bequeme Weg auf und ich war gezwungen, die letzten rund 200m ebenfalls in der Falllinie zurückzulegen – auf einem Schotterweg und in einer Steilheit, die mich schon jetzt fast zum Absteigen und Schieben brachte.
Susanne und ich waren diesmal (für unser Alter) technisch auf dem absolut neuesten Stand: wir beide hatten "Live Tracking" auf unseren Garmin-Sportuhren aktiviert und wussten somit über die aktuelle Position des jeweils anderen zu jedem Zeitpunkt genauestens Bescheid. Unglaublich, dass die vor einem halben Jahrhundert erstmals in "Goldfinger" gezeigte Landkarten-Verfolgungsfunktion im James Bonds Aston Martin inzwischen sogar bis zu uns in den Alltagseinsatz durchgedrungen ist!
Bequem im Gras sitzend konnte ich somit oben am Waldrand den erfolgreichen Start und Susannes schrittweises Vordringen in die Höhe gebannt mitverfolgen. Es dauerte nicht lange, da tauchte schon der Spitzenläufer in erster Position auf – ein Dominikaner in entspanntem Dauerlauf. Die folgenden paar Anwärter auf die Toppositionen liefen ebenfalls noch, danach begann aber bald einmal der Tross der bereits mehr oder weniger schnell gehenden Teilnehmer. Ich musste aufpassen, Susanne vor lauter Gucken auf die Karte nicht noch beim tatsächlichen Vorbeilaufen an mir in der Realität zu verpassen, erspähte sie aber rechtzeitig und hatte somit schon die ersten geplanten Aufnahmen im Kasten bzw. im Handy.
Danach galt es, keine Zeit zu verlieren und mich unverzüglich an die Weiterfahrt zum nächsten Wegpunkt zu machen, während Susanne bereits im Wald verschwand.
Fotostopp Nr. 2 im Val Mulegna
Zunächst musste ich die letzten steilen 200m zur nächsten Kreuzung wieder zurückfahren. Danach ging es weiter auf einem Fahrweg, der ein paar Hundert Höhenmeter unterhalb von Susannes Laufstrecke verlief. Mein Weg stieg zunächst an, während Susannes Positionspunkt auf meiner Uhr im Wald oberhalb von mir bereits im Vorsprung war. Bei der nachfolgenden Abfahrt dem Hang entlang in Richtung Tinizong konnte ich aber wieder Zeit gutmachen und diese auch beim langen Schlussanstieg auf der Alpstrasse von Tinizong her kommend ins Val Mulegna beibehalten. Die Rennstrecke traf bei einer Einmündung dann wieder auf diese Alpstrasse und dies war auch der zweite geplante Wegpunkt für mich.
Ich gesellte mich zu einem E-Bike-Fahrer, der (abgesehen vom E-Bike) mit der gleichen Technologie und Vorgehensweise arbeitete wie ich. Er hatte bereits am Strassenrand etwas weiter oben einen optimalen Standort gefunden, von dem aus man die Läufer von weitem beim Verlassen des Waldes und beim Herannahen sehen konnte. Auch hier dauerte es nicht lange, bis Susannes Punkt auf dem Kartendisplay nahte und ich sie dann schon aus der Ferne sehen konnte. Sie war immer noch voll im Rennen, hüpfte munter und fluchend an mir vorbei und wieder hatte ich die nächsten Bilder von unterwegs auf sicher.
Fotostopp Nr. 3 in Rona
Susanne würde nun in den Wäldern nördlich von Rona weit oben den Hang queren und dann ins Dorfzentrum von Rona absteigen, am dortigen Campingplatz vorbeilaufen und auf der anderen Talseite wieder in die Berge entschwinden. Mein Plan war dementsprechend, sie in Rona erneut abzufangen.
Im Gegensatz zu den anderen Wegetappen hatte ich hier mit keinen Schwierigkeiten gerechnet. Ich würde zwar einen ziemlichen Umweg fahren müssen – über die Alpstrasse zunächst bis ins Dorf von Tinizong hinunter, dann den Fluss der Gelgia queren und auf der anderen Seite im Wald wieder nach Rona hinauffahren. Die Abfahrt konnte ich aber mit hoher Geschwindigkeit erledigen und vom Aufstieg nach Rona wusste ich bereits vom Vor-Vortag, dass ich ihn wegen der verhältnismässig geringen Steigung ebenfalls verhältnismässig zügig bewältigen konnte.
Umso mehr war ich dann erstaunt, als ich bei der Ankunft im Rona und dem Blick auf die Uhr realisierte, dass Susanne bereits bei den obersten Häusern von Rona eingetroffen war und in Kürze hier erscheinen würde. Es blieb mir praktisch gerade noch Zeit, das Bike hinzustellen, einen guten Standplatz zu suchen und die Handykamera startklar zu machen, da kam sie auch schon um die Ecke geschossen. Diesmal wurde sie mit Kuhglockengebimmel und etwas weiter hinten beim Campingplatz von einem Alphornchor empfangen, sodass die Voraussetzungen für ihren nächsten und wohl heftigsten Aufstieg nach Motta Tscharmoz optimal schienen.
Fotostopp Nr. 4 bei Salva di Lattas
Nun würde allerdings auch für mich die grösste und zweifelhafteste Herausforderung beginnen. In den Waldhängen unterhalb des Motta Tscharmoz existierte zwar ein Netzwerk von Forstwegen, die allerdings stets in Sackgassen endeten. Um Susanne noch einmal in der zweiten Streckenhälfte und vor dem Zieleinlauf in Savognin zu erwischen, würde ich also von Rona aus den ganzen Weg bis nach Savognin zurückfahren müssen, um dort einen erneuten Anstieg mit über 500 Höhenmetern auf der Alpstrasse zur Alp Tarvisch in Angriff zu nehmen. An einer Stelle, einem Wegpunkt namens Salva di Lattas, kreuzte die Alpstrasse die Rennstrecke. Ob ich es bis dorthin überhaupt rechtzeitig schaffen würde ohne Susanne zu verpassen, war mehr als fraglich. Vor allem, weil die Rennstrecke ab Motta Tscharmoz für die Läufer bis ins Ziel nur noch bergab ging, während ich dann immer noch im schneckenhaften Aufstieg sein würde, in Gegenrichtung noch dazu.
Ich beschloss, es trotzdem zu versuchen. Falls ich während dem Aufstieg realisieren würde, dass ich es nicht mehr rechtzeitig bis Salva di Lattas schaffe, könnte ich unterwegs immer noch umkehren, nach Savognin zurückfahren und Susanne wenigstens vor dem Zieleinlauf nochmals zu fotografieren versuchen.
Mit hohem Tempo raste ich also wieder durch den Wald von Rona nach Tinizong, querte den Fluss der Gelgia auf einer Brücke und fuhr auf einem Radweg weiter nach Savognin zurück. Da der Weg flussabwärts verlief, konnte ich trotz Schotter auch hier ein zügiges Tempo aufrechterhalten. Ich kam bei der Kirche von Son Martegn in Savognin an und begann den Aufstieg zur Alp Tarvisch.
Der Alpweg, zunächst noch asphaltiert und mässig steil, ging weiter oben im Wald bald in Schotter mit deutlich mühsamerer Steigung über. Ich kurbelte Meter um Meter hoch, versuchte mich auf den Weg zu konzentrieren und möglichst nicht alle 10 Sekunden auf die Uhr mit Susannes Positionspunkt zu starren. Der bewegte sich zunehmend auf den kritischen Höhepunkt auf Motta Tscharmoz zu, während es bei mir im Schneckentempo vorwärts ging. Irgendwann schaltete ich dann auch die Anzeige der verbleibenden Strecke und Höhenmeter ab, um mich nicht völlig zu demotivieren. Die grösste Herausforderung bei diesem Zeitdruck war, Tempo und Puls unter Kontrolle zu halten, um nicht auf halbem Weg zu überhitzen und vorzeitig auszubrennen.
Irgendwann wurde klar: Susanne hatte inzwischen den Motta Tscharmoz überschritten und befand sich nun im Abstieg, während mir immer noch anderthalb Kilometer Fahrstrecke bergauf bevorstand. Ihr Positionspunkt bewegte sich nun sichtlich schneller, während meiner auf der Stelle zu verharren schien. In einer letzten Anstrengung trat ich in die Pedale. Zum Glück wurde der Weg auf dem letzten halben Kilometer wesentlich flacher, sodass ich Salva di Lattas rechtzeitig erreichte, als Susanne in 400m Entfernung nahte. Auch hier waren die Aufnahmen also geschafft. Susanne und ihre Mitläufer waren allerdings nicht zu beneiden: Die Laufstrecke kam auf feuchtem, stein- und wurzeldurchsetzten Untergrund aus dem Wald heraus und verschwand am anderen Wegrand ebenso steil wieder im Gebüsch.
Ich machte mich hingegen erneut mit beträchtlich höherem Tempo auf den Rückweg nach Savognin, wobei man mit dem Gravelbike auf diesen Schotterwegen auch stets aufpassen muss, nicht selber übermütig zu werden und auf der Nase zu landen.
Fotostopp Nr. 4 bei Son Martegn
Angesichts der Schwierigkeiten auf der restlichen technischen Laufstrecke im Wald schien mir realistisch, den Läufern beim Ausgang der Alpstrasse an der Kirche von Son Martegn in Savognin nochmals zu begegnen. Ich traf dort tatsächlich so frühzeitig ein, dass ich meinen Trinkbeutel noch in Ruhe auffüllen konnte, bevor Susanne von oben über die Pflastersteine herunterholperte. Immerhin war ihr das Fluchen längst vergangen. Nach den letzten Fotos machte ich mich gemütlich ins Zielgelände, wo ich Susanne geschüttelt und gerührt, aber heil und unverletzt wieder antraf.
Von Savognin nach Schmitten
Die Heimfahrt verlief für mich dann auf der gleichen Strecke wie der Hinweg, war aber naturgemäss um ein Vielfaches anstrengender. Die Anstrengung der letzten Stunden und Tage spürte ich bereits schon beim mässigen Anstieg von Savognin nach Salouf in den Beinen, konnte aber die Abfahrt nach Mon und das relativ flache Stück über Surava nach Alvaneu über die Bühne bringen, bevor ich auf dem letzten grossen Anstieg aus dem Albulatal nach Alvaneu Dorf und Schmitten nochmals richtig auf die Zähne beissen musste. Immerhin kam ich mehr oder weniger zeitgleich und erledigt wie Susanne in ihrem Bus zuhause an, sodass niemand von uns unbemerkt zwischen Dusche, Kühlschrank und Bett schlappmachen konnte.