Am Pizza Naira auf Abwegen

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Ausgangspunkt

Alvaneu Dorf.

Tourdaten

  • Weglänge: 34.5 km
  • Höhendifferenz: ↑↓ 1980 Hm

Routenbeschreibung

Der Pizza Naira gehört zu den Gipfeln über der Lenzerheide, die ich erst einmal und dazu noch vor vielen Jahren bestiegen hatte. Meine Tourenwahl fiel heute auf ihn, da ich in diesen kurzen Herbsttagen einen guten Teil der Aufstiegsstrecke zeitsparend mit dem Bike zurücklegen konnte. Zudem hatte ich die erste Begehung noch als ziemlich waghalsig und ungemütlich in Erinnerung und wollte wissen, wie der Eindruck nach langer Zeit heute wohl sein würde.

Mit dem Bike nach Tealf

Von Alvaneu Dorf aus fuhr ich auf der Alpstrasse zu den Ferienhütten von Aclas Dafora und weiter zur Alp da la Creusch. Die Alpsaison ist längst zu Ende und die Alp lag schon ruhig und einsam im Winterschlaf. Der steinige Alpweg ab Aclas Dafora dorthin wird zur Zeit erneuert und ist schon jetzt in teilweise geebneten Zustand deutlich einfacher befahrbar als früher.

Auf dem weiterhin naturbelassenen und nun umso holprigeren Alpweg hinter der Alp da la Creusch fuhr und schob ich weiter unter den Hängen von Tgapeala Cotschna in Richtung Furcletta. In der Hochebene von Tealf liess ich das Bike dann allerdings zurück, da ich zu Fuss schneller auf der Furcletta sein würde als mit Zusatzballast. Zudem rechnete ich bereits damit, auf dem Rückweg eventuell nicht mehr über die Furcletta zurückzukehren.

Über die Furcletta zum Ostgrat des Pizza Naira

Vom meinem Bikedepot folgte ich dem Wanderweg zur Furcletta. Von hier aus eröffnete sich ein eindrücklicher Tiefblick auf die Alp Ramoz, das Welschtobel, den Guggernellgrat und die Bergkette bei Aroser Rothorn und Erzhorn. Mich erstaunte, dass ich auch hier weit und breit allein zu sein schien; nur auf dem Gipfel des Aroser Rothorns waren einige Leute aus der Ferne zu erkennen.

Mein Weg führte nun weiter auf den rippenartig gegliederten Pizza Naira zu, genauer gesagt auf seinen bizarr geschichteten und steilen Ostgrat. Zunächst bewegt man sich von der Furcletta auf dem Ausläufer des Grates noch im Gehgelände, wobei zwei kleinere Felstürme überstiegen bzw. links umstiegen werden können.

Gemäss alten Tourenberichten führte hier früher einmal ein Wanderweg mit noch vorhandenen Markierungen in die Geröllmulde nordöstlich unterhalb des Gipfels und von dort auf den Verbindungsgrat zwischen Aroser Rothorn und Pizza Naira. Bei unserer Überschreitung vom Aroser Rothorn zum Pizza Naira vor Jahren sind wir auf dem Verbindungsgrat tatsächlich auch noch rot-weissen Markierungen begegnet. Hier auf dem Ostgrat war aber nichts mehr davon zu sehen, mit Ausnahme einer einzigen fast völlig verblassten Markierung.

Im Übergang vom Ostgrat zum Nordgrat

Hinter den Felstürmen senkte sich der Ostgrat dann nochmals ab, bevor er sich steil mit abweisenden Felsen in Richtung Gipfel aufbäumte. An dieser Stelle verliess ich die Grathöhe und traversierte nach rechts in den weiten Geröllkessel hinein, in dessen Schatten schon einzelne Schneefelder lagen. Der Aufstieg über das Blockgeröll hinauf zum angrenzenden Nordgrat des Pizza Naira war zwar zeitraubend, die groben Felsen im unteren Teil waren aber unbeweglich und gut begehbar. Erst weiter oben im steileren Gelände gegen den Nordgrat hin wurde das Geröll loser, ging aber bald in festgepressten Schutt über.

Unterwegs konnte ich Hochwild erkennen, das in den Hängen über mir fleissig polternde Steine lostrat. Sie waren aber zum Glück hoch genug, um mich nicht zu erreichen. Meine Aufmerksamkeit galt vor allem den paar Schneefeldern, denen ich möglichst aus dem Weg ging. Sie waren nämlich pickelhart und bereits derart festgefroren, dass ich nicht einmal mit den Bergschuhen Stufen hineinschlagen konnte.

Erster Aufstiegsversuch über den Nordgrat

Auf dem Nordgrat des Pizza Naira trat ich endlich aus dem Schatten wieder in die Sonne hinaus und stieg über Schutt zum Fuss der Gipfelfelsen hinauf. Gleich am Anfang erhob sich eine Pyramide aus losen und schuttbeladenen Felsblöcken. Ich erinnerte mich, wie wir beim letzten Mal direkt an der Kante aufstiegen, der ganze Berg sich dabei unter unseren Füssen zu bewegen schien und kein Stein auf dem anderen blieb.

In einem anderen Tourenbericht hatte ich kürzlich gelesen, dass man diesen brüchigen Abschnitt rechts umgehen könne. Ich traversierte also vom Nordgrat am Felsaufbau vorbei in den steilen Westhang hinein. Schon nach wenigen Metern merkte ich, dass dies keine gute Idee war. Festhalten konnte ich mich nur an hochgradig brüchigen Felsen, während der sehr abschüssige Hang unter meinen Füssen nur aus losem Schutt bestand.

Zentimeterweise tastete ich mich im Hang weiter in der Hoffnung, möglichst bald wieder auf die Grathöhe zurückkehren zu können. Hinter der ersten Felspyramide war tatsächlich ein kurzer Übergang zum nächsten Steilaufschwung auf dem Grat zu sehen. Der Weg dorthin führte von meinem Standort allerdings rund 20 Meter steil über abwärtsgeschichtete und schuttbeladene Platten empor. Ich konnte beim besten Willen nicht sehen, wie dies ohne erhebliches Absturzrisiko bewerkstelligt werden konnte.

Nach einigem Hin und Her erkannte ich die Aussichtslosigkeit des Unterfangens. Das einzig Sinnvolle war jetzt, wieder zum Fuss des Felsaufbaus auf dem Nordgrat zurückzukehren, von wo aus ich gestartet war. Natürlich musste ich auf dem Rückweg den gleichen prekären Abgrund genauso aufwendig und vorsichtig traversieren.

Als ich wieder auf dem Nordgrat stand, war viel Zeit vergangen und die Sonne stand bereits merklich tiefer am Himmel. Ich stand kurz davor, das Unternehmen an dieser Stelle abzubrechen und wieder zum Ostgrat und zur Furcletta zurückzukehren. Andererseits konnte ich nur schwer nachvollziehen, dass wir es vor Jahren von hier bis auf den Gipfel geschafft hatten und dies nun plötzlich nicht mehr möglich sein sollte.

Zweiter Aufstiegsversuch zum Gipfel

Ich beschloss also, wenigstens noch einen zweiten Anlauf zu nehmen. Diesmal frontal auf der Gratkante an der Felspyramide hoch, so wie ich es von unserer ersten Tour noch halbwegs in Erinnerung hatte. Nach den ersten Metern fiel mir wieder ein, wie wir damals auf den lose geschichteten Felsen gerade aufgestiegen waren. Jetzt sah ich aber, dass der Fels nur ein oder zwei Meter rechts haltend etwas günstiger und stabiler aussah. Dies meinte der Autor des erwähnten Berichts vermutlich auch, als er von einer Umgehung rechts schrieb. Auf diesem Weg erreichte ich kurze Zeit später den Übergang hinter dem ersten Felsaufbau zum nächsten Aufschwung.

Hier erwähnte der andere Bericht, dass man den zweiten Aufschwung links umgehen könne. Dies stimmte einigermassen und war auch fast unausweichlich, da einige überhängende Felszähne weiter oben die Gratkante versperrten. Zur Linken befand sich ein Schuttcouloir, das ich wegen der Steilheit weiter unten zwar nicht queren, aber an seinem oberen Ende auf halbwegs festen Felssimsen vorsichtig übersteigen konnte. Danach stieg ich in einer engen Schuttrinne mit guten Tritten auf beiden Seiten auf, kam in leichteres Gelände und erreichte wenig später den Nordgipfel des Pizza Naira.

Von hier aus bot sich ein eindrücklicher Blick auf den hier einmündenden Ostgrat und ein steiles Schuttcouloir, das gleich daneben bis zum Fuss des Berges abfiel. Im Hintergrund thronte das Lenzerhorn in der Nachmittagssonne. Davor war der Südgipfel des Pizza Naira zu erkennen, den ich als Nächstes erreichen musste.

Der Grat zum Südgipfel wurde durch einige kleine Felstürme versperrt, die ich aber in der Schuttflanke links (östlich) vom Grat umsteigen konnte. Danach stand ich auf dem Südgipfel und hatte von hier erstmals Sicht auf den oberen Teil vom Südgrat, dem gegenüberliegenden Piz Mez und dem Lai Grond an seinem Fuss.

Abstieg vom Pizza Naira zum Lai Grond

Bei unserer ersten Tour stiegen wir vom Südgipfel auf dem Verbindungsgrat zum Piz Mez ab. Diese breite Schuttflanke wäre auch jetzt die am wenigsten steile und zeitsparendste Abstiegsroute gewesen. Stattdessen entschied ich aber, einigen Pfadspuren auf dem anfangs noch flachen Südgrat zu folgen und zu versuchen, weiter vorne zum Lai Grond abzusteigen.

Zunächst sah diese Variante noch unproblematisch aus. Der Schutthang fiel westlich vom Gipfel gemächlich in die Tiefe ab. Bald erkannte ich aber, dass der Hang immer abschüssiger wurde und in mehrere steile Schuttrinnen überging, zwischen denen spitze Felsgrate und Zacken aufragten. Ich querte in der Folge wieder nach Norden zurück, um das flachere Gelände auf dem Übergang zum Piz Mez zu erreichen. Dies war allerdings nicht mehr einfach, da ich nun bereits schon auf der Höhe von ersten brüchigen Felsstufen war, die den Hang durchzogen.

Vorsichtig und schrittweise gelang es mir schliesslich, den Hang zu durchqueren und den Lai Grond zu erreichen. Erneut hatte ich dafür einen grossen Zeitverlust hinnehmen müssen und der (oberflächlich schon zugefrorene) See lag bereits tief im Schatten. Immerhin hatte ich an diesem Punkt aber die wesentlichen Gefahrenstellen endlich hinter mir gelassen. Vor mir lag jetzt noch die Aufgabe, den Wanderweg von der Alp Sanaspans über Culmet nach Furcletta zu erreichen und auf ihm zum Bike zurück zu gelangen.

Ein Wegweiser am Wanderweg leuchtete unweit vom See gerade noch in der Abendsonne und der Wegverlauf nach Culmet war gut zu sehen. Zügig stieg ich auf ihm auf, querte den Hang von Culmet und tauchte auf der anderen Seite wieder in den Schatten ein. Ich erreichte die Hochebene von Tealf und verliess den Wanderweg zur Furcletta bei erster Gelegenheit, um stattdessen auf möglichst direktem Weg mein Bike anzusteuern. Ich hatte mir angewöhnt, die GPS-Koordinaten vom Bike bei solchen Touren abzuspeichern, damit ich es notfalls auch bei schlechten Sichtverhältnissen wieder finden konnte. Dies zahlte sich jetzt in der Dämmerung aus.

Rückfahrt nach Alvaneu

Nun stand nur noch die Abfahrt mit dem Bike ins Tal bevor. Besonders im ersten Abschnitt bis zur Alp da la Creusch war Vorsicht angesagt, da der Alpweg doch sehr steinig und von tiefen Furchen durchzogen war. Zügiger und schon bereits im Scheinwerferlicht fuhr ich von der Alp dann hinunter nach Aclas Dafora.

Einem wahnwitzigen Impuls folgend, fuhr ich auf der Alpstrasse weiter zu den Weiden von Plaun sulla Sesa und von dort in vollem Scheinwerferlicht auf einem Wanderweg direkt hinunter zum Dorfrand von Alvaneu. Der Tag war offenbar noch nicht riskant genug gewesen. Ich erreichte die Zivilisation aber in einem Stück und kam schon ziemlich im Dunkeln nach Hause.

Als Fazit kann ich festhalten, dass das Herumkraxeln auf dem Pizza Naira auch im zweiten Anlauf kein Erholungsausflug war — er ist und bleibt ein etwas beunruhigender Berg für mich.

Fotos

Bei der Alp da la Creusch mit Blick aufs Lenzerhorn
Blick von der Alp da la Creusch ins Oberhalbstein
Der Pizza Naira von der Alp da la Creusch gesehen
Bikedepot im Hochtal Tealf unterhalb des Pizza Naira
Auf der Furcletta mit Blick ins Welschtobel
Furcletta und Tgapeala Cotschna
Aroser Rothorn und Alp Ramoz
Aufstiegsweg zum Pizza Naira über Ost- und Nordgrat
Blick vom Ostgrat hinunter zur Furcletta
Auf dem Ostgrat vor dem Übergang zum Nordgrat
Im Geröllkessel unter dem Pizza Naira
Im Geröllkessel mit Blick zurück zum Ostgrat
Bergsteiger am Nordgrat des Pizza Naira
Blick vom Nordgrat auf Alp Ramoz und Welschtobel
Unterhalb des Nordgrats vom Pizza Naira
Aussicht auf Alp Sanaspans und Parpaner Rothorn
Der Übergang vom Aroser Rothorn zum Pizza Naira
Blick auf die Furcletta von den Gipfelfelsen
Bei den Gipfelfelsen vom Nordgrat
Blick auf die Westflanke zur Alp Sanaspans
Alp Sanaspans und Lenzerheide
Aufstieg durch die Gipfelfelsen am Nordgrat
Kurz vor dem Nordgipfel des Pizza Naira
Auf dem Nordgipfel mit Blick zum Südgipfel
Blick auf Ostgrat, Furcletta und Welschtobel
Blick vom Südgipfel auf Südgrat und Culmet
Blick zurück zum Nordgipfel und Aroser Rothorn
Der Lai Grond am Fuss des Piz Mez
Blick zur Lenzerheide im Abstieg zum Lai Grond
Im Abstieg durch die Südwestflanke zum Lai Grond
Im Abstieg durch die Südwestflanke zum Lai Grond
In der Südwestflanke vom Pizza Naira
Im auslaufenden Geröll oberhalb des Lai Grond
Beim bereits vereisten Lai Grond
Blick zurück zur Südwestflanke vom Pizza Naira
Unterwegs zum Übergang bei Culmet
Blick auf Piz Mosch und Lenzerhorn
Pizza Naira vom Westübergang bei Culmet gesehen
Weg über Culmet vom West- zum Ostübergang
Blick von Culmet auf das Hochtal von Tealf
Im Abstieg vom Ostübergang hinunter nach Tealf
Bei Tealf kurz vor dem Bikedepot
Abfahrt von Tealf zur Alp da la Creusch
Der Guggernell auf der Abfahrt nach Aclas Dafora
Auf dem Trail von Plaun Sulla Sesa nach Alvaneu