Piz Badile (3.308m)
Eine der schönsten Klettertouren in den Alpen: die Badile-Nordkante mit Abstieg über die Normalroute nach Italien.

Hinweis
Die Tour wurde am 22.08.2017, einen Tag vor dem verheerenden Felssturz in Bondo begangen. Die beschriebenen Parkplätze und der Zustieg zur Sasc Furä-Hütte sind von Bondo aus nicht mehr erreichbar.
Ausgangspunkt
Kostenloser Wanderparkplatz am südlichen Dorfrand von Bondo (N 46,334° / E 9,554°). Alternativ kann man auch über eine schmale Forststraße (gebührenpflichtig, CHF 10) zu einem Wendeplatz mit beschränkten Parkmöglichkeiten auf 1.340m hochfahren.
Tourdaten
- Weglängen, Gehzeiten und Höhendifferenz:
- 1,6 km, 0h 50m, ↑ 600 Hm (Hüttenanstieg 1. Tag)
- 5,3 km, 10h, ↑ 1.410 Hm ↓ 760 Hm (Gipfeltour 2. Tag)
- 8,7 km, 2h 30m ↓ 1.520 Hm (Hüttenabstieg 3. Tag)
- Datum: 22.08.2017
- Gruppe: 2 Personen mit 2 Bergführern; vielen Dank an Florian Möhl und Aspirant Marco Steinemann von der Bergsportschule Grischa für die hervorragende Führung!
Routenbeschreibung
Allgemeines zum Ablauf
Unser Plan sah drei Tage für die Tour vor. Der erste Tag umfasste die Anreise mit zwei Autos nach Bondo und den Aufstieg zur SAC-Hütte Sasc Furä mit Übernachtung dort. Am zweiten Tag würden wir den Piz Badile von der Hütte aus über die Nordkante besteigen und über die Normalroute auf der Südseite nach Italien zur CAI-Hütte Rifugio Gianetti absteigen. Dort wollten wir wiederum übernachten, am dritten Tag dann ins Tal zum nächstgelegenen Ort San Martino absteigen und mit dem Taxi über Chiavenna und die italienisch/schweizerische Grenze nach Bondo zurückkehren.
In Bondo befinden sich zwei Parkmöglichkeiten für Bergsteiger, die zur Hütte „Sasc Furä“ aufsteigen wollen: ein Wanderparkplatz im Süden des Dorfs kurz vor dem Beginn der Forststraße ins Val Bondasca nach Laret, sowie ein zweiter wilder Parkplatz am Ende dieser Forststraße weiter oben und hinten im Tal. Der markierte Hüttenweg nach Sasc Furä nimmt seinen Anfang beim zweiten Parkplatz. Da wir mit dem Taxi aus Italien nach Bondo zurückfahren wollten, stellten wir eines unserer Autos bei Parkplatz im Dorf ab und fuhren mit dem zweiten Auto über die Forststraße nach Laret hoch, wo wir in einem engen Durcheinander abgestellter Fahrzeuge noch die mehr oder weniger letzte Parklücke knapp neben dem Abgrund am Wegrand vorfanden. Nach unserer Rückkehr wollten wir mit dem ersten Auto von Bondo aus nach Laret hochfahren, um das zweite Auto dort abzuholen. Dazu kam es wegen des gewaltigen Felssturzes am 23.08.2017 nicht mehr. Es gelang uns zwar, das erste Auto kurz vor dem Niedergang der Murgänge und Geröllmassen, welche die Straßen um Bondo komplett überrollten, in Absprache mit der Polizei noch rechtzeitig aus Bondo herauszufahren. Das zweite Auto in Laret hingegen stand aber im Inneren des Val Bondasca, das wenige Stunden vor unserer Ankunft vom Felssturz verschüttet wurde.
Erster Tag
Aufstieg zur SAC-Hütte Sasc Furä:
Vom oberen Parkplatz in Laret zunächst wenig ansteigend auf dem markierten Hüttenweg der Bondasca entlang, bis der Weg nach Sasc Furä rechts abzweigt. Das Geröllbett der Bondasca wird auf einer Brücke überquert. Danach in Kehren steil durch den Wald empor zur SAC-Hütte Sasc Furä.
Zweiter Tag – Gipfelbesteigung
Wir sind frühmorgens um 5 Uhr von der Hütte aufgebrochen (das Frühstück wurde ab 4.30 Uhr bereitgestellt). Im Licht der Stirnlampen folgten wir einem blau-weiß markierten Weg, der sich nach Süden zunächst über Gras, Bachrinnen und Blockgeröll, später über ein Geröllfeld mit großen Blöcken zum Fuß des dreieckigen Felsaufbaus am Anfang der Nordkante hinzog. Während die Führer zielstrebig vorangingen, empfand ich die Orientierung im Dunkeln als nicht einfach. Tatsächlich überholten wir auf diesem Abschnitt auch bereits die ersten Seilschaften, die sich des Weges nicht ganz sicher zu sein schienen. Würde ich diese Tour ohne Führer gehen, würde ich den Zustieg auf jeden Fall am Vortag bereits etwas rekognoszieren, um nicht schon hier Zeit zu verlieren.
Wir seilten uns auf 2.420m am Anfang der ersten Plattenfluchten an und tauschten unsere Zustiegsschuhe gegen Kletterschuhe aus. Zuerst ging es am kurzen Seil über einfache gestufte Platten und Risse um die linke Seite des Felsaufbaus herum, danach simultan am gestreckten Seil mit zwischen uns eingehängten Sicherungen in Reibungskletterei über schon deutlich steilere Platten auf die Grathöhe der Nordkante hinauf. Auf diesem Abschnitt waren immer noch vereinzelt unangeseilte Kletterer unterwegs, deren Tempo aber unter unserem lag und die angesichts meiner Kletterkünste bei unseren Überholmanövern dann kurz darauf entschieden, sich nun doch selber auch anzuseilen.
Von hier aus arbeiteten wir uns in schöner Reibungs- und Risskletterei Seillänge für Seillänge auf der Nordkante hoch. Das Kletterei war sehr abwechslungsreich, und man wurde ständig mit neuen bewegungstechnischen Herausforderungen konfrontiert. Gut strukturierte schräggestellte Platten wechselten sich mit Verschneidungen, schmalen und breiten Rissen, plötzlichen steilen Aufschwüngen sowie einzelnen akrobatischen Stemmaktionen durch körperbreite Kamine ab. Unsere Führer glichen unser (mein) langsames Klettertempo durch ihre eigene Geschwindigkeit im Aufstieg und beim Seilhandling derart aus, dass wir eine Seilschaft nach der anderen vor uns überholten, ohne dass wir selber irgendwelchem Tempostress ausgesetzt waren. Dies war für mich eine sehr eindrückliche Beobachtung.
Weiter oben erreichten wir die Schlüsselstelle der Route: rund 10 Meter Kletterei im V. Grad über eine fast senkrechte, griff- und trittarme Platte. Es gelang mir, mich verspreizt hochzustemmen, wobei die Schuhe mehr nach dem Prinzip Hoffnung und mit angehaltenem Atem Halt in winzigen Rissen und auf einigen hervorstehenden Quarzkristallen fanden, während die Finger gerade genug Platz auf ein paar schmalen Leisten und Schuppen hatten, um nicht aus der Wand zu fliegen. Dieser Abschnitt war aber mit mehreren Haken gut abgesichert, und ich fand ihn deshalb mental auch leichter zu klettern als die technisch viel einfachere, aber ausgesetzte und sicherungsarme Gratkante, die weiter oben folgen würde.
Danach ging es in einfacherer Kletterei auf der Nordkante weiter und bald über zwei prominente, aber einfache Platten – die „Zürcherplatte“ und die „Rischplatte“ – hinauf. Beeindruckend war hier die abrupte Änderung der Felsstruktur: bot das bisherige Gestein in Reibungskletterei sehr guten Halt, war der Fels hier plötzlich für eine kurze Zeit glatt und seifig. Auf Reibung zu stehen war praktisch unmöglich, aber dafür hatte es in der Platte zahlreiche Risskanäle, in denen Finger und Schuhspitzen Halt fürs Weiterkommen fanden.
War das Wetter im unteren Teil der Route angenehm warm und windstill, änderte sich dies weiter oben dann schlagartig. Auf rund 3.200m kam ein heftiger und kalter Wind auf, der Nase, Ohren und Fingerspitzen zunehmend auszukühlen begann. Da ich zum Klettern ganz besonders auf letztere angewiesen war, kamen hier schon gewisse Befürchtungen auf, unter diesen Verhältnissen nicht mehr unbegrenzt lang klettern zu können. Zum Glück wurden die Fingerspitzen aber nie ganz taub, vermutlich durch den Druck, der auf ihnen lastete.
Obwohl technisch einfach, wurde die Gratkante im oberen Teil dann immer schärfer und ausgesetzter mit einzelnen steilen Aufschwüngen zwischendurch. Auf beiden Seiten ging es enorm in die Tiefe, wobei man die Auswahl zwischen Reibungstritten auf schrägen Platten links und Leisten in senkrechten Gratabbrüchen rechts hatte. Immer wieder wurde die Kante durch Lücken unterbrochen, die manchmal etwas unübersichtlich abgeklettert werden mussten. Nicht hilfreich hierbei war der bereits erwähnte heftige Wind, der in diesem Abschnitt kein so recht angenehmes Klettergefühl mehr aufkommen ließ.
Ganz oben öffnete sich dann links von der Kante der Blick auf ein aufsteigendes, meterbreites Felsband, das hin zu den großen Blockfelsen auf dem fast waagrechten Gipfelgrat führte. Von der Kante traversierte man um eine Ecke herum auf das Band und konnte hier dann wie auf einem Gehsteig hinauflaufen. Danach noch ein wenig einfache Kletterei über Felsblöcke, und plötzlich tauchte die spitze Metallpyramide des Gipfels aus dem Nebel auf. Wir waren tatsächlich oben, rund 6 Stunden und 20 Minuten nach Aufbruch von der Hütte.
Nach den obligatorischen Gipfelfotos war es einfach, auf der Südseite im Schutz der Felsen ein windstilles Plätzchen für die Mittagspause zu finden. Hier war auch nun endlich Gelegenheit, die Kletterschuhe wieder durch unsere Zustiegsschuhe zu ersetzen, in denen wir den Abstieg über die Südseite in Angriff nehmen würden.
Zweiter Tag – Abstieg vom Gipfel
Vom Gipfel aus ging es nun über die Normalroute nach Süden hinunter. Das Ziel war die Rifugio Gianetti, eine italienische Alpenvereinshütte, in der wir vor der Rückkehr ins Tal eine weitere Nacht verbringen wollten. Da der Piz Badile von Wolken eingehüllt wurde, war die Orientierung beim Abstieg im Nebel wiederum nicht ganz einfach. Wir folgten mehr oder weniger deutlichen Wegspuren und roten Punkten auf geröllbedeckten, abschüssigen Platten. Immer wieder kamen wir an mehrere Meter hohe Felsabsätze, die gut gestuft oder durch Rinnen im II. Grad abgeklettert wurden. Es wäre zwar möglich gewesen, bereits von Gipfelnähe aus über eine Reihe von Abseilstellen bis an den Wandfuß abzuseilen; unsere Führer entschieden sich aber fürs Abklettern, da wir so in diesem Gelände wesentlich schneller vorankommen würden.
So kletterten wir praktisch die ganze Normalroute am kurzen Seil ab, bis wir im unteren Teil zu den beiden letzten eingerichteten Abseilstellen kamen. Es wäre zwar auch hier möglich gewesen, diese zu umgehen und stattdessen bis an den Einstieg abzuklettern. Zu Übungszwecken wollten wir aber hier abseilen, und so ging es zuerst 25m am halbierten Einfachseil, und gleich darauf 50m an zwei verknüpften Einfachseilen an Verschneidungen und überhängenden tiefen Kaminen vorbei in die Tiefe.
Unten angekommen, standen wir im Nebel auf einem weiten Geröllhang. Hier waren nun alle Schwierigkeiten überstanden, und wir zogen Helme und Klettergurte aus. In gemütlichem Tempo ging es auf einer Wegspur über das Blockgeröll hinunter zur Gianetti-Hütte. Die Hütte war zwar im Vergleich zu ihrem Schweizer Pendant etwas weniger komfortabel eingerichtet (insbesondere was die Toiletten betraf), doch überzeugten hier die Kajütenbetten in Viererzimmern im Vergleich zu den Matratzenlagern auf Schweizer Seite durch mehr Bewegungsfreiheit und „Privatsphäre“.
Dritter Tag
Abstieg nach San Martino und Rückfahrt:
Auf dem rot-weiß markierten Wanderweg von der Rifugio Gianetti über weite felsdurchsetzte Grashänge hinab in die Ebene des Valle Porcellizzo. Von hier aus durch Wald hinunter nach Bagni del Masino (den Gebäuderuinen eines stillgelegten ehemaligen Thermalbads) und auf der Fahrstraße weiter nach San Martino.
In San Martino kehrten wir in die „Bar Monica“ ein und versuchten, von dort telefonisch ein Taxi anzufordern, dass uns zurück nach Bondo bringen sollte. Da der Fahrpreis verhandlungsabhängig ist, hatten wir dies bereits am Morgen auf der Gianetti-Hütte versucht, aber niemanden erreicht. Es gelang uns nun aber, ein Taxi für 200 Euro anzufordern, und so warteten wir bei Kaffee und Gebäck auf dessen Ankunft.
Es wäre auch möglich gewesen, von der Rifugio Gianetti aus zu Fuß über den Passo Porcellizzo und den Passo di Trubinasca zur Hütte Sasc Furä und nach Bondo zurückzukehren. Laut unseren Führern (und einigen Tourenberichten im Internet) war diese Variante aber eher mühsam und nicht lohnend, sodass wir uns – auch aus Zeit- und Termingründen – für die Rückfahrt mit dem Taxi entschieden.
An der italienischen Grenze hinter Chiavenna erfuhren wir, dass eine Weiterfahrt nach Bondo wegen eines wenige Stunden zuvor eingetretenen Felssturzes nicht möglich war. Es gelang uns, dann doch bis kurz vor Bondo durchzudringen, wo unsere Fahrt dann durch eine Strassensperre der Schweizer Polizei definitiv ein Ende fand. Wir erfuhren hier, dass die Forststraße von Bondo nach Laret und zumindest ein Teil der in Laret abgestellten Autos unter den Felsmassen begraben waren. Zum anderen Auto auf dem Parkplatz in Bondo wurde uns zunächst der Zugang versperrt, wir konnten dieses Auto schlussendlich in Absprache mit der Polizei aber doch in einer Eilaktion herausfahren. Später erfuhren wir, dass eine Fels- und Schlammlawine wenige Stunden später auch die Straßen um Bondo herum überrollt hatte. Ich bin froh, dass wir nicht früher unterwegs waren, da wir ja geplant hatten, das zweite Auto oben im nunmehr verschütteten Tal mit dem ersten abzuholen.
Fotos






















































